Sogenanntes Internet-Manifest veröffentlicht

Auf netzpolitik.org wurde ein aus 17 Behauptungen bestehen­des Internet-Manifest

Wie Journalismus heute funk­tio­niert. 17 Behauptungen.

ver­öf­fent­licht.

Auf Initiative von Mario Sixtus (ja, der Sascha Lobo aus dem ZDFinfokanal), wurde in der Debatte über den „Untergang des soge­nann­ten Qualitätsjournalismus“ die­ses zeit­ge­nös­si­sches Manifest entwickelt.

Eine Vielzahl von enga­gier­ten Bewertern haben zu die­sem Blogeintrag bereits ihren Kommentar abgegeben.

Die Möglichkeit Mitunterzeichner zu wer­den, scheint zur Zeit noch nicht vor­ge­se­hen, das Bedürfnis drängt sich mir als „Nichtjournalist“ aber auch noch nicht auf.

Wer es sich das Internet-Manifest in sei­nem voll­stän­di­gen Wortlaut durch­le­sen möchte, kann es sich hier, mit dem nach­fol­gen­den Text antun :

Internet-Manifest
Wie Journalismus heute funk­tio­niert. 17 Behauptungen.


1. Das Internet ist anders.
Es schafft andere Öffentlichkeiten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. Die Medien müs­sen ihre Arbeitsweise der tech­no­lo­gi­schen Realität anpas­sen, statt sie zu igno­rie­ren oder zu bekämp­fen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung ste­hen­den Technik den best­mög­li­chen Journalismus zu ent­wi­ckeln – das schließt neue jour­na­lis­ti­sche Produkte und Methoden mit ein.
2. Das Internet ist ein Medienimperium in der Jackentasche.
Das Web ord­net das bestehende Mediensystem neu : Es über­win­det des­sen bis­he­rige Begrenzungen und Oligopole. Veröffentlichung und Verbreitung media­ler Inhalte sind nicht mehr mit hohen Investitionen ver­bun­den. Das Selbstverständnis des Journalismus wird sei­ner Schlüssellochfunktion beraubt – zum Glück. Es bleibt nur die jour­na­lis­ti­sche Qualität, die Journalismus von blo­ßer Veröffentlichung unterscheidet.
3. Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet.
Für die Mehrheit der Menschen in der west­li­chen Welt gehö­ren Angebote wie Social Networks, Wikipedia oder Youtube zum Alltag. Sie sind so selbst­ver­ständ­lich wie Telefon oder Fernsehen. Wenn Medienhäuser wei­ter exis­tie­ren wol­len, müs­sen sie die Lebenswelt der Nutzer ver­ste­hen und sich ihrer Kommunikationsformen anneh­men. Dazu gehö­ren die sozia­len Grundfunktionen der Kommunikation : Zuhören und Reagieren, auch bekannt als Dialog.
4. Die Freiheit des Internet ist unantastbar.
Die offene Architektur des Internet bil­det das infor­ma­ti­ons­tech­ni­sche Grundgesetz einer digi­tal kom­mu­ni­zie­ren­den Gesellschaft und damit des Journalismus. Sie darf nicht zum Schutz der wirt­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Einzelinteressen ver­än­dert wer­den, die sich oft hin­ter ver­meint­li­chen Allgemeininteressen ver­ber­gen. Internet-Zugangssperren gleich wel­cher Form gefähr­den den freien Austausch von Informationen und beschä­di­gen das grund­le­gende Recht auf selbst­be­stimmte Informiertheit.
5. Das Internet ist der Sieg der Information.
Bisher ord­ne­ten, erzwun­gen durch die unzu­läng­li­che Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffent­li­che Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun rich­tet sich jeder Bürger seine indi­vi­du­el­len Nachrichtenfilter ein, wäh­rend Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekann­tem Umfang erschlie­ßen. Der ein­zelne Mensch kann sich so gut infor­mie­ren wie nie zuvor.
6. Das Internet ver­än­dert ver­bes­sert den Journalismus.
Durch das Internet kann der Journalismus seine gesell­schafts­bil­den­den Aufgaben auf neue Weise wahr­neh­men. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich stän­dig ver­än­dern­der fort­lau­fen­der Prozess ; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in die­ser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue jour­na­lis­ti­sche Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.
7. Das Netz ver­langt Vernetzung.
Links sind Verbindungen. Wir ken­nen uns durch Links. Wer sie nicht nutzt, schließt sich aus dem gesell­schaft­li­chen Diskurs aus. Das gilt auch für die Online-Auftritte klas­si­scher Medienhäuser.
8. Links loh­nen, Zitate zieren.
Suchmaschinen und Aggregatoren för­dern den Qualitätsjournalismus : Sie erhö­hen die Auffindbarkeit von her­aus­ra­gen­den Inhalten und sind so inte­gra­ler Teil der neuen, ver­netz­ten Öffentlichkeit. Referenzen durch Verlinkungen und Zitate – auch und gerade ohne Absprache oder gar Entlohnung des Urhebers – ermög­li­chen über­haupt erst die Kultur des ver­netz­ten Gesellschaftsdiskurses und sind unbe­dingt schützenswert.
9. Das Internet ist der neue Ort für den polit­schen Diskurs.
Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Die Überführung der poli­ti­schen Diskussion von den tra­di­tio­nel­len Medien ins Internet und die Erweiterung die­ser Diskussion um die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ist eine neue Aufgabe des Journalismus.
10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.
Artikel 5 des Grundgesetzes kon­sti­tu­iert kein Schutzrecht für Berufsstände oder tech­nisch tra­dierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die tech­no­lo­gi­schen Grenzen zwi­schen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gel­ten, der zur Erfüllung der jour­na­lis­ti­schen Aufgaben bei­tra­gen kann. Qualitativ zu unter­schei­den ist nicht zwi­schen bezahl­tem und unbe­zahl­tem, son­dern zwi­schen gutem und schlech­tem Journalismus.
11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Information.
Es waren einst Institutionen wie die Kirche, die der Macht den Vorrang vor indi­vi­du­el­ler Informiertheit gaben und bei der Erfindung des Buchdrucks vor einer Flut unüber­prüf­ter Information warn­ten. Auf der ande­ren Seite stan­den Pamphletisten, Enzyklopädisten und Journalisten, die bewie­sen, dass mehr Informationen zu mehr Freiheit füh­ren – sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
12. Tradition ist kein Geschäftsmodell.
Mit jour­na­lis­ti­schen Inhalten lässt sich im Internet Geld ver­die­nen. Dafür gibt es bereits heute viele Beispiele. Das wett­be­werbs­in­ten­sive Internet erfor­dert aber die Anpassung der Geschäftsmodelle an die Strukturen des Netzes. Niemand sollte ver­su­chen, sich die­ser not­wen­di­gen Anpassung durch eine Politik des Bestandsschutzes zu ent­zie­hen. Journalismus braucht einen offe­nen Wettstreit um die bes­ten Lösungen der Refinanzierung im Netz und den Mut, in ihre viel­fäl­tige Umsetzung zu investieren
13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.
Das Urheberrecht ist ein zen­tra­ler Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu ent­schei­den, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel miss­braucht wer­den, über­holte Distributionsmechanismen abzu­si­chern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu ver­schlie­ßen. Eigentum verpflichtet.
14. Das Internet kennt viele Währungen.
Werbefinanzierte jour­na­lis­ti­sche Online-Angebote tau­schen Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbebotschaften. Die Zeit eines Lesers, Zuschauers oder Zuhörers hat einen Wert. Dieser Zusammenhang gehört seit jeher zu den grund­le­gen­den Finanzierungsprinzipien für Journalismus. Andere jour­na­lis­tisch ver­tret­bare Formen der Refinanzierung wol­len ent­deckt und erprobt werden.
15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.
Das Internet hebt den Journalismus auf eine qua­li­ta­tiv neue Ebene. Online müs­sen Texte, Töne und Bilder nicht mehr flüch­tig sein. Sie blei­ben abruf­bar und wer­den so zu einem Archiv der Zeitgeschichte. Journalismus muss die Entwicklungen der Information, ihrer Interpretation und den Irrtum mit­be­rück­sich­ti­gen, also Fehler zuge­ben und trans­pa­rent korrigieren.
16. Qualität bleibt die wich­tigste Qualität.
Das Internet ent­larvt gleich­för­mige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer her­aus­ra­gend, glaub­wür­dig und beson­ders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestie­gen. Der Journalismus muss sie erfül­len und sei­nen oft for­mu­lier­ten Grundsätzen treu bleiben.
17. Alle für alle.
Das Web stellt eine den Massenmedien des 20. Jahrhunderts über­le­gene Infrastruktur für den gesell­schaft­li­chen Austausch dar : Die “Generation Wikipedia” weiß im Zweifel die Glaubwürdigkeit einer Quelle abzu­schät­zen, Nachrichten bis zu ihrem Ursprung zu ver­fol­gen und zu recher­chie­ren, zu über­prü­fen und zu gewich­ten – für sich oder in der Gruppe. Journalisten mit Standesdünkel und ohne den Willen, diese Fähigkeiten zu respek­tie­ren, wer­den von die­sen Nutzern nicht ernst genom­men. Zu Recht. Das Internet macht es mög­lich, direkt mit den Menschen zu kom­mu­ni­zie­ren, die man einst Leser, Zuhörer oder Zuschauer nannte – und ihr Wissen zu nut­zen. Nicht der bes­ser­wis­sende, son­dern der kom­mu­ni­zie­rende und hin­ter­fra­gende Journalist ist gefragt.
Internet, 07.09.2009
Markus Beckedahl http://www.netzpolitik.org/
Mercedes Bunz http://www.mercedes-bunz.de/
Julius Endert http://www.blinkenlichten.com/
Johnny Haeusler http://www.spreeblick.com
Thomas Knüwer http://blog.handelsblatt.com/indiskretion/
Sascha Lobo http://www.saschalobo.com/
Robin Meyer-Lucht http://www.berlin-institute.de/
Wolfgang Michal http://www.autoren-reporter.de/index.php?option=com_content&task=view&id=23&Itemid=66
Stefan Niggemeier http://www.stefan-niggemeier.de
Kathrin Passig http://de.wikipedia.org/wiki/Kathrin_Passig
Janko Röttgers http://www.lowpass.cc/
Peter Schink http://www.peter-schink.de/
Mario Sixtus http://www.elektrischer-reporter.de/
Peter Stawowy http://www.xing.com/profile/Peter_Stawowy
Fiete Stegers http://www.netzjournalismus.de/

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