Gedicht zur freien Wirtschaft

Höhere Finanzmathematik
Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen,
 aber manche blühen auf: Ihr Rezept heißt Leerverkauf.
Keck verhökern diese Knaben Dinge, die sie gar nicht haben,
 treten selbst den Absturz los, den sie brauchen - echt famos!
Leichter noch bei solchen Taten tun sie sich mit Derivaten:
 Wenn Papier den Wert frisiert, wird die Wirkung potenziert.
Wenn in Folge Banken krachen, haben Sparer nichts zu lachen,
 und die Hypothek aufs Haus heißt, Bewohner müssen raus.
Trifft's hingegen große Banken, kommt die ganze Welt ins Wanken -
 auch die Spekulantenbrut zittert jetzt um Hab und Gut!
Soll man das System gefährden? Da muss eingeschritten werden:
 Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat.
Dazu braucht der Staat Kredite, und das bringt erneut Profite,
 hat man doch in jenem Land die Regierung in der Hand.
Für die Zechen dieser Frechen hat der Kleine Mann zu blechen
 und - das ist das Feine ja - nicht nur in Amerika!
Und wenn Kurse wieder steigen, fängt von vorne an der Reigen -
 ist halt Umverteilung pur, stets in eine Richtung nur.
Aber sollten sich die Massen das mal nimmer bieten lassen,
 ist der Ausweg längst bedacht: Dann wird bisschen Krieg gemacht.

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angeb­lich von Kurt Tucholsky 1930 in „Die Weltbühne“ veröffentlicht

Wirklicher Autor die­ses Gedichtes scheint eher ein gewis­ser Richard G. Kerschhofer zu sein, wel­cher unter dem Pseudonym Pannonicus und dem Titel „Höhere Finanzmathematik” bereits hier­über ver­öf­fent­licht hatte.

Das Gedicht unter der angeb­li­chen Urheberschaft Tucholskys wird dadurch jedoch nicht schlech­ter. Die Frankfurter Rundschau klärte ihre Leser über die Urheberschaft auf.